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Autorin der NZZ Deutschland
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Heute geht es um den Pogrom in Amsterdam und den demografischen Wandel in Europa. Doch zunächst zum Kommentar.
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Thema des Tages: Was der Hochmut des Kanzlers mit dem Niedergang der SPD zu tun hat
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Die SPD ist die älteste Partei Deutschlands. Einst hatte sie Grösse.
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Lisi Niesner / Reuters
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Im alten Rom war es üblich, dass hinter dem triumphierenden Feldherrn auf dem Streitwagen eine Art persönlicher Referent stand. Der hielt dem grossen Mann den Lorbeerkranz über das Haupt, und während der Wagen durch die jubelnde Menge fuhr, flüsterte er dem Imperator immer wieder ins Ohr: «Bedenke, dass du sterblich bist!»
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Der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz hat auch so einen Mitarbeiter. Der Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt flüstert allerdings einen anderen Text, er dürfte etwa lauten: «Olaf, du bist der Grösste!» Womöglich ist das ungesund. Etwas mehr Sensibilität für die eigene politische Sterblichkeit hätte dem Kanzler in den vergangenen knapp drei Regierungsjahren gutgetan. Und sie wäre immer noch hilfreich, jetzt, da Scholz’ Koalition gescheitert ist und seine Partei, die SPD, sich im erbärmlichsten Zustand ihrer Nachkriegsgeschichte befindet.
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Begonnen haben der Abstieg und die Verwirrung der Sozialdemokratie wohl im Jahr 2005, nach dem Wechsel von Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Christlichdemokratin Angela Merkel. Von da an drehten die Sozialdemokraten Schröders erfolgreiche Neujustierung des Sozialstaats mit seiner Agenda 2010 Schritt für Schritt zurück auf null.
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Doch Schröders Programm des «Förderns und Forderns» hatte sehr zu Recht auf die sogenannte «neue Mitte» gezielt, auf die abhängig Beschäftigten, die mit ihrem Fleiss und ihrer Regeltreue das Land am Laufen hielten. Sie hätten nach dem gesellschaftlichen Aufstieg der alten Arbeiterklasse die neue Klientel der SPD werden müssen. Das hatte Schröder ganz richtig erkannt. Sein Bundesgeschäftsführer hiess damals Olaf Scholz, und Scholz argumentierte, freilich in der ihm eigenen, wenig diskursiven Art, entschlossen für Schröders Agendapolitik. Die Partei mochte das nicht.
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Die Parteilinke als Folkloreverein
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Scholz machte danach Karriere als Bundesminister, als Erster Hamburger Bürgermeister und als Vizekanzler unter Angela Merkel (2018 bis 2021). Um seine Genossen, die unterdessen einen Kanzlerkandidaten nach dem anderen verschlissen (Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier, Martin Schulz), kümmerte er sich nicht.
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Und die Genossen kümmerten sich nicht um Scholz, beziehungsweise: Sie wollten nichts von ihm wissen. 2019 wählten sie in einem Mitgliedervotum nicht ihn und seine Co-Kandidatin, die heutige Bauministerin Klara Geywitz, zu Vorsitzenden, sondern die gänzlich unbekannte Bundestagsabgeordnete Saskia Esken und den ehemaligen nordrhein-westfälischen Landesminister Norbert Walter-Borjans.
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Ein emotional durchschnittlich aufgestellter Mensch hätte die Schmach des Eigentlich-nicht-gewollt-Seins vielleicht als Zeichen interpretiert: entweder als Signal zum Rückzug oder als Aufforderung, die Partei grundlegend umzukrempeln. Scholz wählte einen dritten Weg und ertrotzte sich in einer Zeit, in der die SPD existenzbedrohende Umfragetiefs (13 bis 14 Prozent) erlebte, die Kanzlerkandidatur.
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Die äusseren Umstände kamen ihm 2021 zu Hilfe: Eine Mehrheit der Wähler war der grossen Koalitionen in Deutschland überdrüssig. Scholz’ Konkurrenten von den Christlichdemokraten und den Grünen waren schwach, ihnen unterliefen schlimme Schnitzer. So reichten 25,7 Prozent, damit die SPD stärkste Kraft und Scholz Bundeskanzler werden konnte. Spätestens jetzt hielt er sich für nahezu unbesiegbar, und spätestens jetzt fing er an, genau aus diesem Grund fundamentale Fehler zu machen.
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Die entfesselte Post-Schröder-SPD
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Die begannen mit seiner Auswahl der sozialdemokratischen Minister in einer ohnehin komplizierten Koalition mit Grünen und FDP. Ein ambivalenter Aktivposten war dabei der Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil. Der blieb im Amt und versah seine Arbeit professionell, unfallfrei und geräuschlos.
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Doch da seine Aufgabe in der entfesselten Post-Schröder-SPD vor allem im Verteilen von staatlichen Zuwendungen bestand, kam die Tätigkeit dieses Ministers Deutschland sehr teuer zu stehen. Die SPD hat bis heute nicht zur Kenntnis genommen, dass 75 Prozent der Bevölkerung das neue, «Bürgergeld» genannte Quasi-Grundeinkommen, das aus ihren Steuern finanziert wird, als ungerecht empfinden.
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Ein fataler Fehlgriff war Scholz’ Entscheidung, das Verteidigungsministerium mit der Juristin Christine Lambrecht zu besetzen. In Zeiten neuer weltweiter Konflikte und Spannungslagen, auf die Spitze getrieben durch den inzwischen zweieinhalb Jahre währenden russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine, wurde eine Innenpolitikerin Verteidigungsministerin, die von Aussen- und Sicherheitspolitik, vom Militärischen im Allgemeinen und von der Bundeswehr im Besonderen nicht die geringste Ahnung hatte.
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Pistorius wurde schnell zum Konkurrenten
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Eigentlich wäre es die Aufgabe von Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt gewesen, seinen Chef vor dieser Art von geringschätziger Personalpolitik zu bewahren. Doch Schmidt und Scholz waren ohnehin davon überzeugt, selbst den notwendigen sicherheitspolitischen Durchblick zu haben, um die vom Kanzler zu Recht in einer bemerkenswerten Regierungserklärung ausgerufene «Zeitenwende» zu gestalten.
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Als Lambrecht im Amt dann doch untragbar wurde, ersetzte Scholz sie durch den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius. Der macht im Flecktarn immerhin eine seriösere Figur als seine Vorgängerin, kommt bei der Bundeswehr gut an und entspricht mehr dem Bild, das die Bevölkerung sich von einem Verteidigungsminister macht. Schnell wurde Pistorius, der davon sprach, die Bundeswehr auf «Kriegstüchtigkeit» zu trimmen, zum beliebtesten Politiker Deutschlands – und damit zu einer eifersüchtig beäugten Konkurrenz für Olaf Scholz.
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In der Sache hat der Minister auch deshalb wenig erreicht: kein zusätzliches Geld, keine umfassende Strukturreform, keine Wehrpflicht. Das liegt ausserdem daran, dass die Sozialdemokratische Partei und die SPD-Bundestagsfraktion den sicherheitspolitischen Kurs der «Zeitenwende» gar nicht unterstützen. Die SPD hängt alten Friedenssehnsüchten und einer bis zur Unkenntlichkeit verklärten Ostpolitik nach; sie will «abrüsten», und nicht wenige würden der Ukraine gern Friedensverhandlungen mit dem russischen Diktator aufzwingen.
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Der zunächst nur als Übergangslösung installierte Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich ist seit je ein moskaufreundlicher Pazifist. Inzwischen hat er seine Machtbasis in der mit 207 Abgeordneten riesigen Bundestagsfraktion zementiert. Mützenich hängt wie ein Mühlstein um den Hals des Kanzlers und erschwert ihm – und Deutschland – jeden Schritt zu mehr Wehrfähigkeit und zu einer entschlosseneren Unterstützung der gequälten Ukraine.
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Bitte keine Auftritte der Parteivorsitzenden!
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Die Partei war Scholz und Schmidt ebenso egal wie die Fraktion. Es ist geradezu absurd, dass mit Kevin Kühnert ausgerechnet jener Juso Generalsekretär der SPD wurde, der die Kampagne gegen die grosse Koalition und gegen Scholz als Vorsitzenden angeführt hatte.
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Die Parteivorsitzende Saskia Esken wird selbst von Genossen für so amtsungeeignet gehalten, dass Wahlkämpfer, wie jüngst in Brandenburg, sich wünschten, sie möge in der kritischen Zeit nicht in Talkshows erscheinen.
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Im Bundespräsidialamt verwaltet der Oberbürokrat Frank-Walter Steinmeier das höchste Staatsamt und kann froh sein, wenn ihm seine allzu oft unkritische Russlandfreundlichkeit – und die der Sozialdemokraten – nicht allzu schwer auf die Füsse fällt. Der langjährige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zieht durch die Talkshows und gibt dort seiner Partei guten Rat, den er selbst vielleicht hätte beherzigen sollen, als er die SPD führte – und als sie noch zu retten war.
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Dass sie jetzt noch einmal zu alter Stärke zurückfindet, darf bezweifelt werden. Vielleicht reicht es für eine Juniorpartnerschaft in einer weiteren grossen Koalition unter Führung der Christlichdemokraten. Ideen, Aufbruchsstimmung und den von ihr so geliebten «Fortschritt» wird die SPD aber in ihrem heutigen Zustand kaum beisteuern können. Und Olaf Scholz wird der kommenden Koalition mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr angehören.
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Meine Highlights aus der «Neuen Zürcher Zeitung»
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Demonstranten zeigen in Amsterdam eine palästinensische Flagge.
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Jeroen Jumelet / EPA
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Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Ihre Susanne Gaschke
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